Mit dem Momentum 4 Wireless macht Sennheiser vieles besser als beim Vorgänger, in unseren Augen und Ohren gibt es aber auch Gründe zur Beanstandung. Alle Details zeigen wir im Test.
Über mittlerweile vier Generationen verkauft Sennheiser seinen Premium-Kopfhörer für den Alltag, der technisch auf der Höhe der Zeit liegt und in den wichtigsten Disziplinen wie Tragekomfort, Klang und inzwischen auch ANC wunschlos glücklich machen soll. Das Vorgängermodell Momentum 3 (Testbericht) kam dem schon ziemlich nahe. Umso gespannter waren wir auf den ausführlichen Test des neuen Momentum 4 Wireless.
Beim ersten Überfliegen der technischen Highlights wird deutlich: Sennheiser schreibt dem Momentum 4 nicht nur ein obligatorisches Feintuning von Sound, ANC und Akkulaufzeit auf die Brust, sondern wagt sich mit einem ausgeprägten Redesign und der Umstellung auf Touch-Bedienung auch in neue Gefilde. Wie sich das Gesamtpaket im (lauten) Alltag letztlich schlägt, schauen wir uns im Test genauer an.
Design, Verarbeitung und Tragekomfort
Gleich zu Beginn ein Punkt, den wir eher als Rückschritt sehen: die neue Optik und insbesondere die dafür verwendeten Materialien. Das markante Retro-Design des Vorgängers mit auffälligem Metallbügel und Schafsleder-Bezug weicht einem schlichten, modernen, ja langweiligen Look mit sehr viel Kunststoff und Kunstleder. Lediglich der Stoffbezug an der Bügel-Oberseite taugt noch als kleiner Eyecatcher.
Während die Variante in Schwarz besonders unauffällig wirkt, gibt es beim weißen Farbmodell durch den Mix mit kaffeebraunen Elementen noch etwas mehr fürs Auge. Grundsätzlich spricht natürlich nichts gegen ein schlichtes Design. Es ist nur schade, dass die Momentum-Serie, die immer auch für ein optisches Statement stand, mit dieser Tradition nun bricht und sich dem Mainstream anpasst.
Der Griff zu weitaus mehr Plastik hat aber auch einen kleinen Vorteil: Der Momentum 4 liegt mit etwa 295 Gramm etwas leichter in der Hand, während die Verarbeitung sehr solide bleibt. Was die Passgenauigkeit und den Tragekomfort angeht, liefert Sennheiser gewohnt erstklassig ab: Der Kopfhörer ist flexibel, schmiegt sich der Kopfform äußerst angenehm an, bietet eine gute Grundabschirmung und fällt – trotz klotziger Ohrmuscheln – auch nach vielen Stunden nicht mit unangenehmem Druck auf. Apropos klotzig: Die Ohrmuscheln lassen sich für den Transport eindrehen, aber nicht mehr zusätzlich in den Bügel einklappen, wie noch beim Vorgängermodell.
Ausstattung, Installation und Bedienung
Der Momentum 4 wird in einer schicken Tragetasche geliefert, die mit dem gleichen Stoff überzogen ist, der auch den Kopfhörer ziert. Zusätzlich liegen ein USB-C-Ladekabel, ein 1,2 Meter langes AUX-Kabel und ein Flugzeugadapter bei. Wird der Over-Ear-Kopfhörer das erste Mal in Betrieb genommen, verläuft die Einrichtung wie von Zauberhand ohne großes Zutun. Nur das Smartphone meldet, dass doch bitte für den vollen Funktionsumfang die passende App installiert werden sollte. Auch hier klappt das Koppeln ohne Probleme.
Die App selbst bietet einen eher überschaubaren Funktionsumfang. Die Highlights sind ein mit nur drei Frequenzbändern eher dürftiger Equalizer, eine umfangreichere Steuerung der Geräuschunterdrückung und die Einrichtung von Soundzonen, die einen tollen Automatismus bieten: So lassen sich über das Feature unterschiedliche Klang- und ANC-Einstellungen für bestimmte Orte festlegen. Erreicht man etwa das Büro, wird das dafür angelegte Sound-Profil automatisch geladen und etwa der Transparenzmodus aktiviert.
Die wohl größte Neuerung beim Momentum 4 ist die komplette Umstellung auf Touch-Steuerung. Das stark reduzierte Design offenbart nur noch einen einzigen Button an der rechten Ohrmuschel, über den der Kopfhörer ein- und ausgeschaltet sowie gekoppelt werden kann. Der übliche Rest kann über Tipp-, Wisch- oder Zwei-Finger-Gesten gesteuert werden, ebenfalls an der rechten Ohrmuschel. Dank eines kleinen Booklets, das alle Gesten auflistet, dauert die Eingewöhnung nicht lange. Anschließend geht die Steuerung erfreulich präzise und selbsterklärend von der Hand. Sennheiser liefert hier gleich zum Einstieg wirklich hervorragend ab, Chapeau!
Technik, Funktionen und Akkuleistung
Auch bei einem genaueren Blick auf die technischen Hauptmerkmale muss sich der Momentum 4 nicht verstecken. Features wie Bluetooth 5.2, adaptive Geräuschunterdrückung, ein gut funktionierender Transparenzmodus und eine automatische Trageerkennung passen zur angepeilten Oberklasse. Bei den unterstützen Audio-Codecs hat Sennheiser mit SBC, AAC, aptX und aptX adaptive ebenfalls einiges an Bord gepackt. Dazu finden sich noch kleine Besonderheiten wie etwa die (automatische) Reduzierung von Windgeräuschen, für die schon der Vorgänger anfällig war. Leider trifft das erneut auf das neue Modell zu.
So weit, so gut. Gibt es auch etwas Außergewöhnliches? Ja, die Akkulaufzeit! Mit bis zu 60 Stunden Spielzeit via Bluetooth und mit eingeschaltetem ANC hält der Momentum 4 mitunter doppelt so lange durch wie die vergleichbare Konkurrenz, etwa der Yamaha YH L700H (Testbericht). Ein Spitzenwert, der sich unterwegs einfach nur gut anfühlt. Nach etwa zwei Stunden am Netz ist der Akku wieder voll aufgeladen.
Noise Cancelling
Sennheiser hat einiges an Fleißarbeit in die Verbesserung seiner aktiven Geräuschunterdrückung gesteckt. Die ANC-Intensität kann schrittweise per Fingergeste, per Schieberegler in der App oder gar automatisch an die Umgebung angepasst werden. Für unseren Geschmack ist stufenloses ANC allerdings mehr Spielerei als wirklich praktikabel. Entweder hat man es aus, auf Maximum oder wählt einen Mittelwert, um die Umgebung noch leicht im Ohr zu haben, etwa beim Outdoor-Sport.
Zum Vergleich: Beim Bose NC 700 (Testbericht) mit elf ANC-Stärkegraden gibt es zu keiner Zeit die Situation, in der wir denken: Hm, da muss das ANC jetzt aber zwei Stärken höher gestellt werden, aber nicht mehr! Genauso verhält es sich beim Momentum 4. Auch die adaptive Anpassung bleibt im Test lieber ausgeschaltet, weil sie beim Musikhören eher nervt, als dienlich wirkt.
Grundsätzlich attestieren wir dem Momentum 4 eine gute ANC-Effektivität. Sehr lauter Straßenlärm wird ohne laufende Musik um bis zu 80 Prozent abgedämpft. Bei etwa 60 Prozent Musiklautstärke ist schließlich gar nichts mehr davon zu hören. Im direkten Vergleich zu den aktuellen ANC-Platzhirschen von Sony und Bose muss sich Sennheiser allerdings geschlagen geben.
So arbeitet der Sony WH-1000XM5 wie auch das Vorgängermodell WH-1000XM4 (Testbericht) einen kleinen, aber trotzdem deutlichen Tick effektiver. Auch der Bose QuietComfort 45 (Testbericht) schafft es in der gleichen Testsituation etwa, den Straßenlärm ohne laufende Musik bereits nahezu komplett auszublenden – und schon eine geringe Musiklautstärke reicht aus, um den Rest verstummen zu lassen.
Noch ein paar Worte zum Transparenzmodus: Der hat uns außerordentlich gut gefallen, auch wenn (in ruhiger Umgebung) ein leises Grundrauschen wahrzunehmen ist. Trotzdem: Nicht viele bekommen das so gut und natürlich hin wie Sennheiser.
Klangqualität
Bereits beim ersten Reinhören wird deutlich, dass sich Sennheiser – wie schon beim Vorgängermodell – in dieser Disziplin keine Blöße gibt. Vor allem, wenn qualitativ wertigeren Codecs zum Einsatz kommen. Wer den ikonischen Sennheiser-Sound kennt und liebt, wird dennoch ein wenig verdutzt sein, denn der Bass ist ungewöhnlich voluminös und druckvoll. Es schadet dem Soundbild allerdings nicht, im Gegenteil: Uns hat es gefallen, die Mitten und Höhen werden nicht überlagert und zeigen sich stets fein abgestuft. Ansonsten hilft das Feintuning im Equalizer, um den Bass wieder etwas zu zähmen.
Bei Filmen und Spielen zeigt sich keine wahrnehmbare Latenz. Besonders gut gefällt uns auch das Telefonieren mit dem Momentum 4. Für beide Seiten sind die Stimmen im Test klar und deutlich zu verstehen. Hier zeigt sich übrigens auch ein kleines Feature als sehr nützlich: Über die „Sidetone“-Funktion in der App kann die eigene Stimme eingespielt werden, wodurch Gespräche viel angenehmer werden.
Der Sennheiser Momentum 4 hat allerdings auch zwei Achillesfersen, über die das Klangerlebnis mitunter stark beeinträchtigt werden kann: Zum einen ist er auffällig sensibel gegenüber Wind. Da reicht auch schon mal ein leichter Luftzug im Treppenhaus. Vielleicht gibt es genau deshalb eine Extra-Option in der App zur Windgeräuschreduzierung. Aktiviert ist sie durchaus nützlich, allerdings dämpft sie neben den Windgeräuschen auch das Klangbild hörbar ab.
Das zweite und mit Abstand größte Störpotential liegt indes in einer gewissen Anfälligkeit für Schritthall. Im Test lag er beim Gehen so intensiv und unfassbar nervig in den Ohren, dass ein zweites Exemplar hinzugezogen wurde, um ein Montagsmodell auszuschließen. Ergebnis: Auch hier konnte der Effekt nur über sanftes Laufen, laute Musik oder stark gedämpfte Schuhe ausgeschlossen werden.
Aber: Als wir den Kopfhörer weiteren Testpersonen aufsetzen, zeigt sich, dass der Schritthall je nach Träger unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Von „nicht wahrnehmbar“ bis hin zu „absolut nervtötend“ ist alles dabei. Kopfform, Frisur und Anpressdruck scheinen hier also einen gravierenden Unterschied zu machen. Das bedeutet, wenn alles passt, gibt es in diesem Punkt auch nichts zu beanstanden.
Preis
Die Preisempfehlung von Sennheiser für den Momentum 4 Wireless liegt bei stolzen 350 Euro. Zu Testzeitpunkt scheint sich der Straßenpreis auf etwa 300 Euro eingependelt zu haben.
Fazit
Der Sennheiser Momentum 4 Wireless hat sehr viel zu bieten: Da wären die stark arbeitende Geräuschunterdrückung mit tollem Transparenzmodus, eine intuitive und sehr präzise Touch-Steuerung, die herausragende Akkulaufzeit von bis zu 60 Stunden und natürlich auch der fantastische Sennheiser-Sound mit besonderer Bass-Dominanz. Wer sich am Redesign nicht stört und einen gut sitzenden ANC-Allrounder für den Alltag sucht, kann mit diesen Kopfhörern sehr glücklich werden, sofern die Schritthall-Problematik beim Tragen nicht auftritt. Deshalb: Unbedingt gleich zu Beginn testen!
Liegt die Messlatte hingegen primär bei der ANC-Performance, tritt der Momentum 4 in den Schatten der aktuellen Modelle von Bose und Sony, die ähnlich guten Sound sowie viele Premium-Features bieten – und gleichzeitig weitaus preisgünstiger zu bekommen sind. Bei der Gelegenheit lohnt sich auch ein Blick in unsere Bestenliste: Die zehn besten Over-Ear-Kopfhörer mit ANC.